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Wir, David und Marita, haben im Zeiss Planetarium Bochum ein Interview mit dem Duo Moving Sounds, bestehend aus Markus Stockhausen und Tara Bouman, geführt. Von ihnen wollten wir wissen, wie sie zur intuitiven Musik gekommen sind, was intuitive Musik für sie bedeutet und welche Musiker*innen besonders prägend waren.

 

„Man nimmt sich vor, wirklich den Moment zu spüren. Was ist jetzt und was will jetzt gespielt werden? Das ist vielleicht das Spannendste!“

 

David Lindner: Guten Tag Frau Bouman und Herr Stockhausen. Danke, dass Sie sich die Zeit für ein kurzes Interview nehmen. Wie hat Ihre musikalische Karriere angefangen und wie sind Sie beide bei der intuitiven, improvisierten Musik angekommen?

Foto: Barin Cheikho

Tara Bouman: Ich habe in Holland klassische Klarinette studiert. Zuerst habe ich sehr viel zeitgenössische, komponierte Musik gespielt und später dann die Musik von Markus’ Vater Karlheinz Stockhausen. Wir haben auch zusammen Stücke von ihm gespielt.
Irgendwann war dann Schluss damit. Markus sagte zu mir, dass ich das Improvisieren lernen müsse, wenn ich weiterhin mit ihm spielen möchte. Wir haben dann angefangen daran zu arbeiten und spielen jetzt seit 17 Jahren im Duo. Das hat sich natürlich entwickelt, aber das ganz kurz zu meinem Werdegang.

Markus Stockhausen: Ich spiele jetzt schon seit 50 Jahren Trompete. Während der Schulzeit habe ich eigentlich immer Jazz und Klassik gespielt. Später dann auch zeitgenössische Musik, insbesondere durch die Zusammenarbeit mit meinem Vater Karlheinz Stockhausen. Wir haben im weiteren Verlauf 25 Jahre sehr intensiv zusammengearbeitet und er hat viel für mich komponiert. Nebenbei habe ich trotzdem weiter Jazz gespielt und war als Solist in der klassischen Kammer- und Orchestermusik tätig. Nach und nach ist das reine Improvisieren und auch das Komponieren in den Vordergrund getreten. Die eigene schöpferische Arbeit hat mich sehr interessiert. Die letzten zehn Jahre konzentriere ich mich ganz auf meine eigene Musik.

 

„Als Duo Moving Sounds haben wir am Anfang auch mehr Kompositionen, im Wechsel mit Improvisationen gespielt. Heute sind wir fast ausschließlich bei ganz intuitiver Musik gelandet.“

 

David Lindner: Das Improvisieren bzw. das intuitive Spielen unterscheidet sich zu dem „uns bekannten“ Musizieren dadurch, dass ohne Noten gespielt wird. Wie kann man das lernen?

Markus Stockhausen: Die Musik ist eine Sprache und es gibt tausende Sprachen innerhalb der Musik. Und so gibt es auch ganz unterschiedliche Arten zu Improvisieren. Man lernt spielerisch mit Dingen umzugehen und es gibt ganz viele Spielformen.
Unsere Sprachen sind Tonleitern, Akkordbrechungen, Dur oder Moll sowie alle Abweichungen und Variationen davon. Aber auch das Spielen von hellen oder dunklen Klängen spielt eine wichtige Rolle, ob viele Ereignisse in einer Minute oder nur ganz wenige stattfinden, sodass auch die Stille wahrgenommen wird und somit Bedeutung erhält. Es gibt unendlich viele Schattierungen und Tonarten. So wie man gehen lernt oder sprechen, so lernt man auch das Sprechen mit Tönen. Das ist ein Vokabular, das man sich selber erarbeitet.
Und wenn es darum geht auch zusammenzuspielen, ist das nochmal etwas ganz anderes. Dann muss man neben der Beherrschung des eigenen Instrumentes das Hören entwickeln und in Echtzeitdialog mitbekommen, was der andere eigentlich mit seinen Tönen sagt. Man muss sich überlegen, wie man sich darauf intelligent beziehen kann. Ja, es hat etwas sehr spielerisches und macht Spaß, weil man immer im Moment das Gefühl hat, dass man total gefordert ist. Es ist wie eine Meditation, weil ich mich ganz auf die Musik konzentriere.

Marita Bierhoff: Warum ist die intuitive Musik so wichtig für Sie und was bedeutet intuitive Musik überhaupt?

Foto: Barin Cheikho

Markus Stockhausen: Man nimmt sich vor, wirklich den Moment zu spüren. Was ist jetzt und was will jetzt gespielt werden? Das ist vielleicht das Spannendste! Wie fühlen wir uns jetzt gerade, wie ist der Raum und wie können wir eine Musik erfinden, die für uns und die Zuhörer*innen in diesem Moment stimmt? Das ist natürlich immer subjektiv, aber das ist das, was wir uns vorgenommen haben.

Marita Bierhoff: Müssen Sie sich auf ihre Auftritte lange vorbereiten oder ist es mittlerweile etwas ganz alltägliches vor Menschen zu spielen? Haben Sie Rituale, die Sie vor Auftritten regelmäßig machen?

Tara Bouman: Also etwas alltägliches wird es nie sein. Es ist immer ein spezieller Moment und man ist sich diesem auch bewusst. Da man immer etwas anderes spielt, wird es nie zur Routine werden. Hinzu kommt die praktische Komponente bei uns Bläsern. Wichtig ist, dass die Muskeln um den Mund herum und der Atem trainiert sind. Man muss also in Form bleiben. Außerdem sind wir gerne ein bisschen still vor dem Konzert und konzentrieren uns auf das Wesentliche. Dadurch werden wir offen dem gegenüber, was gespielt werden will.

Markus Stockhausen: Manchmal machen wir auch Übungen zusammen, bei denen wir uns auf das Hören fokussieren oder wir üben eine bestimmte Skala zusammen, um uns in unserer Sprache zu erweitern und abzustimmen.

 

„Das Hören ist aber das Wichtigste. Man merkt dann, ob der andere gerade müde ist oder wach und mitbekommt, was man gerade macht. Grundsätzlich kann man sagen, dass das Spielen die eine Hälfte ausmacht und das Hören die andere. So wichtig ist das!“

 

Es sei denn, man spielt ein Solokonzert, aber auch da gilt, dass das Hören sehr wichtig ist. Das nach innen hören. Ich muss ja die Töne, die ich spielen will, irgendwie innerlich voraushören. Das ist ein blitzschneller Vorgang. Gerade als Bläser muss ich eine Vorstellung von dem Ton haben, den ich als nächstes spielen möchte, also welchen Griff ich machen muss. Je schneller die Musik ist, desto schwieriger wird das natürlich. Das kann und muss man trainieren.

David Lindner: Dann bleiben wir erstmal beim Hören. Sie spielen ja sehr gerne in großen Räumen, in denen es sehr akustisch ist und ein besonderer Klang herrscht. Worauf achten Sie da immer? Muss es ein bestimmtes Gemäuer sein, damit Sie sagen, dass es sich gut in diesem Raum spielen lässt?

Foto: Barin Cheikho

Markus Stockhausen: Es ist sehr unterschiedlich. Da darf man auch nicht zu anspruchsvoll sein. Wir freuen uns immer, wenn uns die Akustik entgegenkommt.
Die alten Gebäude, z.B. Kirchen, hat man früher nach bestimmten Intervallen und Proportionen gebaut. Wir spielen gerne in Kirchen oder größeren Räumen, die eine natürliche und besondere Akustik haben. Aber dann gibt es Räume, die haben zwei Sekunden und andere haben sieben Sekunden Nachhall. Das ist dann schon viel. Wenn der Raum auch noch groß ist, dann bleibt der Klang lange stehen. Da kann man praktisch mit sich selbst in Harmonien spielen, was ich schon oft auf der Trompete gemacht habe. Auch die Feuchtigkeit und die Temperatur spielen eine Rolle. Das hängt alles zusammen.
Ich habe manchmal auch unterschiedliche Instrumente dabei, weil dann doch ein Instrument anders mit dem Raum resoniert. Das ist aber nicht immer möglich. Wichtig ist neben der Akustik eines Raumes auch, welche Menschen da sind.

 

„Wir treten ja nicht nur in Resonanz mit den Räumen, sondern auch in Resonanz mit den Menschen. Da kommen Schwingungen zu uns und da gehen Schwingungen von uns aus über die Musik. Und das sind Wechselwirkungen. Man kann es nicht erzwingen, gerade mit unserer Art von Musik.“

 

Marita Bierhoff: Sie haben beide gesagt, dass Karlheinz Stockhausen einen Einfluss auf ihre musikalische Karriere hatte. Gibt es andere Künstlerinnen oder Künstler, die sie sehr geprägt haben?

Tara Bouman: Uff (lachen), schwierig. Eine von Karlheinz’ Frauen war meine Lehrerin für eine Zeit lang und sie hat mich sehr geprägt. Durch den französischen Klarinettisten Alain Damiens wurde ich beeinflusst, der auch viel neue Musik gespielt hat. Aber auch mein Lehrer Piet Honingh an der Musikhochschule war wichtig für meine musikalische Karriere und ich habe viel von ihm gelernt.

Markus Stockhausen: Im Laufe der Zeit, gerade als junger Mensch, gibt es sehr viele Prägungen und Dinge, die man aufsaugt. Mich haben in erster Linie Trompeter beeinflusst, wie Redy Harbord, der amerikanische Jazztrompeter Miles Davis, aber auch europäische Trompeter, wie Kenny Wheeler waren Vorbilder. Aber dann gibt es auch zum Beispiel einen Musiker namens Hariprasad Chaurasia. Er ist ein indischer Flötenspieler. Er hat Bansuri gespielt und ist einer der weltbekanntesten Musiker Indiens. Er lebt noch und gibt Konzerte, mit über 80 Jahren. Die Musik von ihm hat mich immer sehr berührt. Das war was ganz anderes. Ich dachte mir, wenn ich die Trompete ein bisschen so spielen kann, wie er Flöte spielt, das wärs’. So sanft und feinfühlig.
Darüber hinaus würde ich sogar auch die Beatles nennen, mit denen ich aufgewachsen bin. Das waren tolle Musiker mit super Ideen. Und wenn man sieht, welche Ideen die ganzen Musiker in den letzten 50 Jahren in der Popmusik hatten, dann merkt man, dass das Ganze immer noch mit den Beatles zutun hat, da es immer wieder viele Ähnlichkeiten gibt.
Mein Vater hat mich natürlich mit seiner Musik auch sehr beeinflusst und andere klassische Musiker und Komponisten, wie Bach oder Mozart. Es gibt so tolle Kompositionen. Alexander Skrjabin ist ein ganz außergewöhnlicher Komponist, der tolle Musik gemacht hat. Oder wenn sie etwas von Claude Debussy hören.

 

„Unsere abendländische Kultur ist so vielfältig, die spielen alle irgendwo mit rein.“

 

Foto: Barin Cheikho

David Lindner: Dann springen wir zu einem aktuellen Thema. Und zwar haben Sie letztes Jahr den Echo Jazz gewonnen. Was bedeutet ihnen diese Auszeichnung und hat sie bei Ihnen etwas verändert?

Markus Stockhausen: Von so einem Preis darf man nicht zu viel erwarten. Der steht bei mir zuhause und ziert meine Kommode. Es ist eine Anerkennung, die einem zugesprochen wird und das ist schön, darüber freue ich mich. Für unsere Band war es auch toll und die CD „Far Into The Stars“, die wir mit Quadrivium produziert haben, hat sich relativ gut verkauft. Darüber hinaus hat es aber keinen riesigen Effekt gehabt. Manche haben den fünf oder sechs mal bekommen und wenn man über die Machenschaften im Hintergrund erfährt, welche Schallplattenfirmen welchen Einfluss auf die Vergabe des Preises haben, da wird man schon ein bisschen stutzig. Es gibt viele Komponenten, wie solche Preise zustande kommen. In meinem Fall hatte ich lange nicht so einen Preis bekommen, weil ich auch davor die Platte bei ECM produziert hatte. ECM hat sich kategorisch verweigert, bei der Echo-Preisverleihung mitzumachen. Kein ECM Künstler hat sich dort je beworben oder bewerben dürfen. Ich habe dann zu Sony gewechselt und konnte sofort mit der ersten Veröffentlichung den Echo Jazz gewinnen.

Foto: Barin Cheikho

Marita Bierhoff: Ganz herzlichen Dank, dass Sie sich Zeit für uns genommen haben. Wir freuen uns riesig, dass Sie im Planetarium spielen und sind gespannt auf den Ort und die Musik. Vielen Dank!

Während des Konzerts war es sehr dunkel im Planetarium. Die Musik wurde durch eine visuelle Show begleitet und nahm uns mit auf eine Reise durch das Universum. Dieses außergewöhnliche Konzerterlebnis ließ uns den Alltag vergessen.

Verfasser*innen: Marita Bierhoff und David Lindner